Und er schaut sich doch um! Oh weh! Eurydike entschwindet im Nebel der Unterwelt, und Orpheus kehrt allein ins Leben zurück. Auf ewig hat er seine Geliebte verloren und verschmäht fortan alle wilden Weiber. Nicht so im Theaterhaus.
Hier feiert Orpheus den plötzlichen Tod einer verhaßten Gattin. Den Gang ins Totenreich will er sich gern sparen, denn nichts läge ihm ferner, als Eurydike zurückzugewinnen.
Das aus Studenten von Musikhochschulen bestehende Operntheater - inclusive Salonorchester - klamaukt mit Jacques Offenbachs Operette "Orpheus in der Unterwelt" und frotzelt genüßlich gegen die Unmoral im Olymp wie im Tartarus.
Was haben die Götter schon mit Moral zu tun? Der Höllengott Pluton jedenfalls sorgt aus verliebtem Eigennutz für den Tod Eurydikes. Bjöm C. Kuhn becirct mit komödiantischem Talent. Sylvie Coquillat singt die Klagelaute der nach Liebe süchtigen Eurydike. Empört und zugleich entzückt über das schöne Menschenkind, fordert Jupiter (göttlicher Hanswurst: Michael Breuer) die Klärung der Entführung.
Stephan Reher inszeniert mit viel Phantasie, und auch seine Übersetzung treibt die ohnehin parodierte Orpheus-Sage ins poetische Chaos. Treffend kurios intoniert das 18köpfige Ensemble dazu die Gesänge der gegen Jupiter aufständischen Götter.
Und was sagt uns die Geschichte? Welche Niedertracht herrscht auf Erden! Denn natürlich verkörpern die göttlichen Vertreter große Damen und Herren der Gesellschaft. Wenn es also schon keine neuen Erkentnisse über das Menschengeschlecht gibt, so läßt sich hier doch einiges entdecken, das staunen macht. Das lieblich besungene Arkadien verwandelt sich in ein Schüttelbild mit verschneitem Kölner Dom; Göttervaters Zepter gerät zur grell tönenden Wasserpistole, und der Höllenhund darf sich sogar als ferngesteuertes Plüschtierchen gegen die unsterblichen Heroen behaupten. Mit gespickten Käsehäppchen geht's dann ins Finale.
Westdeutsche Zeitung / Düsseldorfer Nachrichten, 23. März 1995
ORPHEUS MIT BISS, ABER OHNE POMP
"Nehmen Sie zur Kenntnis, daß ich Sie verabscheue!" Nein, Orphée und Eurydice können einander wirklich nicht ausstehen. Und müssen sich doch der gefürchteten öffentlichen Meinung beugen. Mit "Orpheus in der Unterwelt" feierte das Ensemble des "Operntheaters" aus Köln jetzt Premiere im Theaterhaus. Und präsentierte dabei die berühmte Operette von Jacques Offenbach in zeitgemäß bissigem Gewand.
Kaugummischmatzend und gekleidet wie eine Zeitungsbotin, mit Turnschuhen und Walkman - so tritt die "Öffentliche Meinung" (Linda Becker) auf und verbreitet Unruhe - auf Erden bei Orphée, aber auch bei den Göttern auf dem Olymp. Frech und gnadenlos fordert sie, begleitet vom Chor: "So geht's nicht" - Eurydice (Sylvie Coquillat), von Pluton in die Unterwelt entführt, muß zu Orphée zurück. Auch wenn der verlassene Gatte (Lothar Blum) alles andere als unglücklich über den Verlust ist.
Die Operette, gespielt in der zweiten Fassung von 1874, lebt von ihren überzogenen Charakteren - eine gekonnte Persiflage auf die Gesellschaft, die stets anderen Moral predigt und selbst doch nicht besser ist: Da ist Göttervater Jupiter (göttlich: Michael Breuer), der, über das zwan-glose Betragen seiner Mitgötter beunruhigt, zur Disziplin aufruft. Und dabei doch selber ein "eitler Don Juan" ist. Damit konfrontiert, hat er dann plötzlich "einen dringenden Termin beim Architekten". Als sich dann noch die "Öffentliche Meinung" einmischt, reagiert er voller Angst und scheucht die Halbgötter: "Haltung bewahren!" Originelles Detail: Jupiters Donnerkeil, mit dem er sich Respekt verschafft, ist eine Spielzeug-Pi-stole. Und doch droht die Revolte: Die Götterschar verlangt statt süßem Nektar - "wir sind alle schon ganz überzuckert" - Wein und Pastete.
Ganz anders Pluton (Björn Christian Kuhn), der respektlose Heuchler, zerzaust und höhnisch, erschleicht sich - als Schäfer getarnt - das Vertrauen der verliebten Eurydice, um sie zu entführen. "Ich singe hier zwar Lieder von kleinen Lämmchen, in Wirklichkeit verfolge ich aber infernalische Pläne!" Hat er Euydice aber erst in die Unterwelt - (sein "Appartement") gebracht, verliert er schnell das Interesse an seinem neuen "Spielzeug" und läßt sie allein. Da sitzt Eurydice, auf der von rotem Licht durchfluteten Bühne vor einer Palme und langweilt sich so sehr, daß sie sogar fürchtet, ihr könne Orphée am Ende noch fehlen.
Mit seiner Inszenierung von "Orpheus in der Unterwelt" ist es Stephan Reher gelungen, den 120 Jahre alten Stoff erfrischend neu zu verpacken, das klassische Element des Gesangs mit aktuellem Schauspiel zu verknüpfen. Begleitet vom Kammerorchester des Operntheaters blieb die Musik dezent; auf Pomp und Opulenz wird verzichtet. Dafür brillierten die jungen Darsteller des 1993 gegründeten Operntheaters.
Es wurde ein langer Abend. Aber unterhaltend war er bis zur letzten Minute. Ein gelungenes Experiment im Theaterhaus.
Neue Rhein Zeitung Düsseldorf, 23. März 1995
Die ehelichen Bande:
Lothar Blum und Sylvie Coquillat
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Mit Champagner aus der Unterwelt:
Thorsten Coers |
Orpheus, der berühmteste Sänger aller Zeiten, kommt im Ehrenfelder Urania-Theater kaum zum Singen. Doch das ist in diesem Zerrbild des Mythos gar nicht so falsch. Da proben Götter den Aufstand wie Schulkinder, der Cancan endet im Chaos, der Höllenhund bellt vor Gericht als fernbedientes Plüschtier. Den Durchblick hat Styx, er trinkt, um zu vergessen. Und im Saal verkauft die öffentliche Meinung Boulevardblätter; das Geschäft läuft eben am besten mit Stories über Royal Families.
Kölner Stadtanzeiger, 4. April 1995
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